Im Wirtschaftsteil Ihrer Ausgabe vom 17.11.15, S. 26, finden Leser zwei Texte, die einerseits dankbar zu begrüßen sind - denn: welche Tageszeitung sonst befaßt sich so ausführlich mit den hier angesprochenen Themen ? -, andererseits aber zu nicht der Wirklichkeit entsprechenden beziehungsweise schädlichen Schlußfolgerungen verführen können. - Es werden da u.a. folgende Darstellungen, Ansichten und Interpretationen angeboten:
1) Da in Deutschland aufgrund der aktuellen demographischen Entwicklung die Zahl der aus dem Berufsleben ausscheidenden Menschen derzeit steigt, die Zahl der Berufseinsteiger aber verhältnismäßig zurückgeht, bringe eine Zuwanderung von arbeitsfähigen und arbeitsbereiten („jungen, kräftigen“ ?) Ausländern einen wünschenswerten Ausgleich, eine Kompensation. Die Aufnahmeländer „profitierten“ also.
2) Und weil mehr Menschen auch mehr produzierende und konsumierende Menschen darstellten, brächte eine Vergrößerung der Bevölkerungszahl auch im Prinzip mehr Wachstum des Bruttosozialproduktes.
3) Und weil mehr Wachstum – dessen eventuelle Umweltschädlichkeit hier ausgenommen – schließlich auch mehr Wohlstand für die Menschen bedeute.
4) Und weil zudem mehr Wachstum mehr Steuereinahmen und Einnahmen der Sozialkassen zur Folge habe, sich das bürgergünstig für die Leistungsfähigkeit von Staat und Sozialsystemen auswirken würde.
5) Schließlich würden Zuwanderer die Produktivität der Arbeitsnehmer in Deutschland dadurch erhöhen können, daß sie eventuell neue interessante Arbeitsmethoden und Arbeitsfertigkeiten mitbrächten.
Bitte, liebe Süddeutsche Zeitung, erlauben Sie uns folgende Ergänzungen:
Zu 1): a) Als Zuwanderer kommen überwiegend arbeitsfähige und arbeitsmotivierte Menschen nach Deutschland. Wenn diese die „demographische Lücke“ bei uns schließen, verursachen sie eine nämliche in ihren Heimatländern. Und, wenn es dort bereits viele Arbeitskräfte gäbe, so bräuchte man aber gerade dieses „Viel“, um durch möglichst viel Produktivität zu den fortgeschrittenen Ländern wirtschaftlich und sozial aufholen zu können - damit man von dort nicht mehr auszuwandern genötigt ist. – Deutsche Unternehmen könnten dann ja immer - wie immer schon früher praktiziert – Fach- und sonstige Kräfte selbst in ihren Unternehmen ausbilden.
b) Wenn die Menschen in Deutschland – so wie es glückliche Tatsache ist - länger als früher gesund arbeitsfähig bleiben, ist es gerecht, daß sie – und nicht abgeworbene ausländische „Lückenfüller“ - die „demographische Lücke“ durch eine längere Lebensarbeitszeit füllen. – Durch eine längere Lebensarbeitszeit der Senioren werden sodann die Junioren gerechterweise so sehr kostenmäßig entlastet, daß sie meinen, mehr Kinder verantworten zu können, womit sie dann wiederum die „demographische Schere“ zum Zuklappen bringen.
Zu 2): Eine vergrößerte Bevölkerungszahl bringt tatsächlich mehr Bedarf und gegebenenfalls auch mehr produktionstechnisch mögliche Produktivität, nicht aber auch automatisch mehr realisierte Produktivität, also Wachstum. Eine Bevölkerung kann wachsen, gleichzeitig das Sozialprodukt sinken; sie kann zurückgehen, dennoch das Bruttoinlandsprodukt steigen.
– Zu Wachstum kommt es nur, wenn neben dem Bedarf und den produktionstechnischen Voraussetzungen auch die Absatzmöglichkeit steigt – und die steigt nur, wenn die umlaufende Geldmenge wächst; die aber nicht automatisch schon wächst, wenn die Zahl der Menschen größer wird. – Von einer entsprechenden Vergrößerung der Geldmenge ist es sowieso abhängig, ob beziehungsweise in wie weit Zuwanderer einen menschwürdigen Erwerbsarbeitsplatz bekommen werden beziehungsweise in wie weit sie Alteingesessenen Erwerbsarbeitsplätze und zufriedenstellende Löhne – löhnedrückend - streitig machen können.
Zu 3): Wenn bei einer Bevölkerungszunahme tatsächlich das Bruttosozialprodukt steigt, weil ein entsprechender Mehrabsatz geldmäßig möglich gemacht wird, entfällt dieses Insgesamtwachstum auf eine insgesamt gestiegene Zahl von Menschen. Grundsätzliche gerechte Verteilung statt Ausbeutung der Zuwanderer vorausgesetzt, wir hätten es dann immer nur mit einem Nullwachstum jedenfalls für den einzelnen Menschen zu tun.
Zu 4): Wenn Zuwanderer in Deutschland nicht – von vorn herein - „Zweite oder dritte Klasse“ leben sollen, also die Zuwanderer grundsätzlich für sich und nicht für die Alteingesessenen „mitzahlen“, kosten sie dem Staat und den Sozialsystemen genau so viel Geld, wie sie abführen müssen – unterstellt hier einmal, die Beiträge seien einkommensabhängige und nicht sozialsubventionierte.
Zu 5): Daß man bei sich zu Hause von einem Gast oder Zuwanderer lernen kann, stimmt im Prinzip immer. Dieser Vorteil ist aber im hier gegebenen Zusammenhang mengenmäßig so zweitrangig, daß man ihn ohne diesbezüglichen „Willkomensjubel“ durchwinken sollte.
Man muß der Süddeutschen Zeitung auf jeden Fall Dank sagen dafür, daß sie eine Debatte zum Thema möglich gemacht hat. – Danke !
Freundlichst –
Ihr SZ- (und Merkur- und andere Zeitungen) Leser
Günter Woltmann-Zeitler
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